Interview ambista.de „Wir wollen einfach besser wohnen!“
Die wichtigsten Wohntrends der imm cologne 2020
Die internationale Einrichtungsmesse imm cologne ist ein Spiegelbild aktueller Einrichtungstrends und repräsentiert den Erfindungsreichtum der Möbelmacher. ambista sprach mit dem Design-Journalisten und Trendforscher Frank A. Reinhardt (FAR.consulting) über die wichtigsten Wohntrends der imm cologne 2020.
Die imm cologne findet jedes Jahr statt. Verändert sich Einrichtungsbranche in dieser Zeit grundlegend oder sind die Trendverschiebungen nur marginal?
Wir haben aktuell in Deutschland und auch in vielen anderen Ländern zwei Themen, die die Menschen auf die Straße treiben: das ist zum einen der Anspruch auf bezahlbaren Wohnraum und zum anderen der Klimawandel, der aufgehalten werden muss. Beide Themen haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Einrichtungsbranche.
Nachhaltigkeit war aber doch schon immer ein Thema in der Einrichtungsbranche, oder zumindest schon recht lange. Was hat sich verändert?
Es ist richtig, dass Unternehmen ihre Produktionsprozesse zertifiziert, in neue, umweltfreundliche Lackieranlagen investiert oder Bienenvölker auf dem Fabrikgelände angesiedelt haben.
Das hat Medien und Konsumenten in der Vergangenheit nicht wirklich interessiert – es war eher schick und wurde ein Stück weit zur Selbstverständlichkeit, auch wenn es die Wettbewerbsverhältnisse beeinflusst hat und die Produktionskosten am heimischen Standort tendenziell eher erhöht hat.
Gleichwohl haben gerade viele deutsche Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit auch fernab einer öffentlichen Aufmerksamkeit intern vorangetrieben, weil es in der Unternehmensphilosophie so verankert wurde. Das zahlt sich jetzt aus, weil immer mehr Konsumenten nach der „grünen Geschichte“ hinter dem Produkt fragen und so den Druck auf Unternehmen und Designer erhöhen.
Bei der Kaufentscheidung zwischen zwei gleichwertigen Produkten wird in Zukunft immer öfter das Produkt mit der authentischen, grünen Geschichte gewinnen. Denn es geht nicht mehr „nur“ um den Gesundheitsaspekt „grüner“ Möbel, sondern um unser aller Zukunft auf der Erde. Das ist den Menschen bewusst geworden, und das macht den entscheidenden Unterschied aus.
Warum ist dieser Trend jetzt so wichtig geworden?
Na ja, in Sachen Klimawandel sind wir wohl an einer Weggabelung angekommen. Die Menschheit muss sich jetzt entscheiden, und wie so häufig ist es unsere unvoreingenommene Jungend, die den Ernst der Stunde erkennt. Greta Thunberg ist ein Symbol für diesen Ruck in der Gesellschaft.
Trendforscher sprechen von „Gretasierung“. Marken der Einrichtungsbranche, die in Sachen nachhaltiger Produktion keine Konzepte oder authentische Geschichten anbieten können, die sie frei vom Verdacht des Greenwashings vertreten können, werden über kurz oder lang das Nachsehen haben – zumindest diejenigen, die sich jenseits der Billig-Schiene bewegen.
Daher erhält aktuell der skandinavische Einrichtungsstil auch noch mal einen Schub: Helle Holzarten, natürliche Stoffe und eher kleine Möbel passen besser in das Konsumverhalten einer besorgten Familie als Kunststoffstühle, ausladende Sofalandschaften oder hochwertige Möbel mit vielen Lackschichten.
Hier müssen sich ganze Industrienationen neu erfinden, wenn sie einen erheblichen Verlust von Markanteilen vermeiden wollen. Und die imm cologne 2020 ist aktuell ein sehr wichtiger Benchmark für alle Einrichtungsmarken.
Verändert sich bei nachhaltigen Produkten denn auch das Design?
Es verändert sich vor allem der Anspruch an die Qualität und an den nachhaltigen Produktionsprozess. Wir sehen schon seit einiger Zeit eine Verbesserung der Qualität im Niedrigsegment. Im Designbereich garantieren Qualität und langlebiges Design für den Konsumenten schon per se für ein nachhaltiges Kaufverhalten.
Hier geht der Trend klar zu tradierten Formen, die auf Klassiker des Möbeldesigns verweisen. Wem das zu langweilig ist, greift auf die nun zunehmend experimentell orientierten Öko-Entwürfe der Möbeldesigner zurück: In manchen Supermarkt werden die hässlichen Karotten ja auch nicht mehr automatisch aussortiert. Naturbelassende Möbel mit Ecken und Kanten stehen nicht nur für ein nachhaltiges Design, sondern auch für Individualität.
Dennoch ist dieses Design auch nur eine Geste, ein Eye-Catcher für eine bestimmte Klientel. Im Allgemeinen sieht man nachhaltigen Möbeln nicht an, ob sie aus zertifiziertem Holz und nachhaltiger Produktion stammen. Dem Preis merkt man es aber leider immer noch an. Doch das dürfte sich ändern.
Die zunehmende Wahrnehmung des Klimawandels und die Sorge um unsere Umwelt wird in den nächsten zehn Jahren das Kaufverhalten und die Trends in der Einrichtungsbranche bestimmen.
Und welche Auswirkungen hat das zweite von Ihnen ins Spiel gebrachte gesellschaftliche Trendthema auf unser Wohnen?
Das ist ja bereits in vollem Gang. So ist es im Interior Design urbanen Stils ja nicht umsonst schick, die Küche in den Wohnbereich zu integrieren und ganz allgemein großzügige Raumeindrücke und „lichtdurchflutete“ Apartments zu promoten.
Das spart ja auch ganz pragmatisch Platz, ohne einzuengen. Möbel werden mobiler und allseitig vorzeigbar, weil man sie umstellen und mit ihnen umziehen können muss. Steigende Mieten und kleinere Wohnungen werden den Bedarf nach platzsparenden Möbeln weiter vorantreiben. Seit einiger Zeit im Trend sind kleine und kompakte Sofas und Sessel, deren Design sich häufig an klassischen Typologien orientiert.
Künftig noch mehr gesucht werden bezahlbare Systemmöbel und kompakte Einzelmöbellösungen, die skalierbar und auf unterschiedliche Raummaße anpassbar, variabel und flexibel einsetzbar sind. Auch das Leben auf einer zweiten Ebene wird schick – das Hochbett kommt wieder oder Podestböden, die viel Platz zum Verstauen bieten.
Weiterlesen: Interview Frank A. Reinhardt auf ambista.de (14.01.2020)